Stuttgarter Medienkongress: Datenbubble und „Alte-Säcke-Politik“

Logo des Stuttgarter Medienkongresses 2016
Logo des Stuttgarter Medienkongresses. Mit freundlicher Unterstützung der LFK.

Teil 2 unseres Nachberichts zum Stuttgarter Medienkongress 2016 über die Datenbubble, Newsrooms, die aktuelle JIM-Studie und „Alte-Säcke-Politik“. Weitere Themen: Effektive Content-Strategien, konvergente Kommunikation, Emojis und transmediales Storytelling.

zu Teil 1 unseres Nachberichts

Alte-Säcke-Politik

Ganz im Sinne seines im Mai erschienenen Buches „Alte-Säcke-Politik: Wie wir unsere Zukunft verspielen“ gestaltete der „Zukunftslobbyist“ Wolfgang Gründinger (BVDW) seinen Vortrag. Den Auftakt schmückte er mit Zitaten und Beschreibungen der Aussagen Neil Postmans (Wir amüsieren uns zu Tode, 1985), Manfred Spitzers (Cyberkrank!, 2015) und Hans Magnus Enzensbergers (Wehrt Euch!, FAZ, 2014) – scharfe Kritiker der Medienentwicklung, die natürlich nicht als Fortschrittsverweigerer verstanden werden wollen.

Vortrag des Autoren Wolfgang Gründinger auf dem Stuttgarter Medienkongress 2016

Vortrag des Autoren Wolfgang Gründinger. Foto: Kim Heck / Beyoutiful Photography.

Ihre Gedankengebäude führte er unter anderem zurück auf Unkenntnis, längst widerlegte Theorien und eine natürliche Abwehrreaktion gegen Innovationen und gesellschaftliche Veränderungen, die das Alter mit sich bringt.

Überforderte Führungskräfte und Reisen nach Absurdistan

Mit der Digitalisierung überforderte Führungskräfte verschliefen den Wandel, wehrten sich dagegen und glaubten, das Internet sei eine vorübergehende Erscheinung, die man aussitzen und schlicht ignorieren kann. Zahlenmäßig überlegen bestimmten die älteren Generationen auch den politischen Mainstream. Einen Blick in Schulbücher zu elektronischen Medien bezeichnete der Autor als „Reise nach Absurdistan“.

Sein Appell: Kommunikation mit der Jugend statt über die Jugend in verstaubten Gremien und noch konkreter: Eine Jugendquote an allen Orten, an denen über die Zukunft entschieden wird. Nur so könne die Zukunft im Sinne der nächsten Generationen gestaltet werden.

Das digitale Jugendzimmer 2016

Sabine Feierabend (SWR) und Theresa Plankenhorn (LFK) präsentierten in ihrem Vortrag Ergebnisse der am Freitag erschienenen JIM-Studie 2016. Dieser zufolge besitzen 95% der Jugendlichen in Deutschland ein Smartphone, 74% einen eigenen PC oder Laptop und nur 55% bzw. 54% einen eigenen Fernseher oder ein Radio.

Sabine Feierabend und Theresa Plankenhorn: Das digitale Jugendzimmer 2016. Stuttgarter Medienkongress 2016.

Sabine Feierabend und Theresa Plankenhorn. Foto: Kim Heck / Beyoutiful Photography.

Ihre Internetnutzungsdauer an einem durchschnittlichen Wochentag schätzten die Jugendlichen auf rund 200 Minuten, die Teilgruppe der Jugendlichen im Alter von 16 bis 19 Jahren auf mehr als 230 Minuten. Am meisten Zeit verbringen die Jugendlichen dabei mit Kommunikation (41% der Zeit) und Unterhaltung (29%), zumeist über das Smartphone.

Medienprohibition und das Ende Facebooks

Die wichtigsten Kommunikationsangebote bleiben WhatsApp (täglich von 89% der Befragten genutzt), Instagram (täglich: 39%), Snapchat und Facebook. Im Vergleich zu 2015 nahm lediglich die Facebook-Nutzung stark ab. Ein Großteil der Jugendlichen bekannte sich zu einer passiven Nutzung des sozialen Netzwerks.

Ergebnisse zur Smartphone-Nutzung im Bildungsalltag zeigen eine bewusste Abschottung der Jugendlichen von der digitalen Welt durch Verwaltung und Lehrkörper auf und scheinen Wolfgang Gründingers vage Zustandsbeschreibungen zu bestätigen: Kaum einem Schüler wird ein WLAN-Zugang gewährt und die Smartphone-Nutzung in der Schule unterliegt in den meisten Fällen Restriktionen.

Fitnessraum: Medienpraxis und Trainingspläne

Das Panel Fitnessraum sollte bestimmt werden von Einblicken in die Praxis, „Trainingspläne und Tipps“ und die Vorstellung verschiedener Social-Media-Strategien.

Den Anfang machte Benjamin Minack (Agentur ressourcenmangel) mit Ratschlägen für eine konvergente Kommunikation. Sein Konzept: Relevanz großschreiben, zu verbreitende Botschaften sinnvoll konzipieren und managen und das Kommunikationsbudget nicht bereits am Anfang eines Projekts zu fixieren, um für zukünftige Entwicklungen und Plattformen bereit zu sein.

Benjamin Minack mit Tipps für eine konvergente Kommunikation auf dem Stuttgarter Medienkongress 2016.

Benjamin Minack mit Tipps für eine konvergente Kommunikation. Foto: Kim Heck / Beyoutiful Photography.

Frei nach Samwer solle man sich „darauf konzentrieren, was man gerade macht“: Ein gut verwalteter Kanal mit einer Botschaft sei effektiver als mehrere unausgegorene und vernachlässigte Kanäle. Auch müsse man mutig sein und Innovationen folgen, aber auch rechtzeitig die Reißleine ziehen, wenn der Erfolg ausbleibt.

Christof Kessemeier (Unitymedia) plädierte für einen Umbau von Organisationsstrukturen, um heutzutage relevant bleiben zu können. Die drei Säulen dafür: Die Nutzung von Daten (Trendmonitoring und A/B Tests zur Content-Optimierung), agile Prozesse (schnelles Handeln, Messen und Optimieren) und nicht zuletzt interne Kollaboration. Dafür biete sich der auch von anderen Referenten im Zuge des Medienkongresses beschworene Newsroom als zentrales Tool an.

Christof Kessemeier von Unitymedia auf dem Stuttgarter Medienkongress 2016.

Christof Kessemeier von Unitymedia. Foto: Kim Heck / Beyoutiful Photography.

Den Abschluss des Panels bildeten Vorträge von Steffen Geldner (Popakademie Baden-Württemberg), Jan Henrik Schäfer (Hochschule der Medien Stuttgart) und Jannis Kucharz (funk).

Von Emojis, Influencern und Reichweitenkonzepten

Geldner schilderte die Erfolgsgeschichte seines Instagram-Kanals und lieferte Tipps zum Reichweitenaufbau. Seine Erfahrungen und Perspektive lieferten Ansätze zum Umgang mit Influencern.

Schäfers Vortrag drehte sich um Emojis, die auch in der Unternehmenskommunikation durch ihre emotionale Wirkung und als Ersatz für klassische Piktogramme ihren Platz finden können.

Kucharz präsentierte das Konzept des neuen Content-Netzwerks funk von ARD und ZDF. Dieses basiert vor allem auf der Kommunikation mit Rezipienten bei der Formatentwicklung, Reichweitenkonzepte für einzelne Formate und deren Abstimmung auf verschiedene Teilzielgruppen. Dabei entscheidend seien Mut zum Scheitern und auch die rechtzeitige Einstellung von nicht erfolgreichen Formaten.

Resonanzraum und Impulsraum: Datenbubbles und transmediales Storytelling

Die parallel zum Panel Frequenzraum geführte Vortragsreihe Resonanzraum behandelte die Themenbereiche der Personalisierung von Medienangeboten bis hin zu einer Datenbubble und des realen Resonanzbedürfnisses der Menschen. Den Anfang machte Dr. Martin Altmeyer, Autor des Buches „Auf der Suche nach Resonanz. Wie sich das Seelenleben in der digitalen Moderne verändert“.

Darauf folgten Vorträge von Bernd Dicks über das ungewöhnliche Konzept des von ihm initiierten Musikfestivals Parookaville, Marthe-Victoria Lorenz über ihr Crowdfunding-Projekt fairplaid, Jasmin Srouji zum pädagogischen Projekt Tinkertank und Prof. Dieter Gorny zu den Auswirkungen der digitalen Transformation auf die Musik- und Kreativbranche. Eine Diskussionsrunde nahm sich der Beziehung zwischen digitalen und realen Erlebnisräumen an.

Diskussionsrunde im "Resonanzraum" auf dem Stuttgarter Medienkongress 2016.

Diskussionsrunde im „Resonanzraum“. Foto: Kim Heck / Beyoutiful Photography.

Das Panel Impulsraum diente parallel zum Panel Fitnessraum dem Abschluss der Konferenz und war der Zukunft des (Lokal-)Journalismus gewidmet. Die Vorträge von Dr. Juliane A. Lischka (Universität Zürich), Manuel Conrad (Merkurist) und Oliver Häußler (CampusTV, Universität Tübingen) und die abschließende Diskussionsrunde behandelten Themen von der möglichen Gatekeeper-Funktion sozialer Medien über die Einbindung von Rezipienten in die Nachrichtenauswahl und –gestaltung bis hin zum transmedialen Storytelling.

Diskussionsrunde im "Impulsraum". Foto: Foto: Kim Heck / Beyoutiful Photography.

Diskussionsrunde im „Impulsraum“. Foto: Kim Heck / Beyoutiful Photography.

zu Teil 1 unseres Nachberichts

Die Fotos vor Ort stammen von Kim Heck.