Google Glass – Gründe des Scheiterns: Eine Ursachensuche

Augmented Reality Device Google Glass
Augmented Reality Device Google Glass

Augmented Reality (AR) ist eines von vielen zukunftsträchtigen Themen in der digitalen Welt. Google entwickelte vor ein paar Jahren eine Datenbrille für AR, die Google Glass. Ein Erfolg ist sie bislang nicht. Die Master-Studenten der Hochschule der Medien in Stuttgart haben untersucht, warum nicht jede Idee von Google ein Hit wird. 

Was ist Google Glass?

Die damals mit hoher Spannung erwartete Datenbrille aus der Ideenschmiede „X“ von Alphabet (ehemals „Google X“) besitzt vor dem rechten Auge einen kleinen Glasbaustein, in dem die transparente Anzeigefläche dargestellt wird sowie ein weißes Kästchen am rechten Brillenbügel, welches die Elektronik inklusive einer Kamera und Mikrofon beherbergt. Letzteres dient, neben einer integrierten Sprach- und Gestensteuerung, ebenso als Interface für die Bedienung. Ein Fingertipp zum „Wake up“ aus dem Standby und schon erscheint der Homescreen mit einer Uhr. Das Menü der Datenbrille, welches aus einer horizontalen Reihe von kachelähnlichen Fenstern besteht, wird in das Sichtfeld des Nutzers projiziert. Dabei zeigen nach links angeordnete Kacheln Dinge, die gerade aktuell sind oder in naher Zukunft passieren, wie zum Beispiel das Wetter, einen Flug oder ein anstehendes Kalenderereignis. Fenster rechts vom Homescreen melden vergangene Benachrichtigungen wie von einer E-Mail oder einem verpassten Telefonat. Die Interaktion auf dem Bedienfeld erfolgt mittels Swipe-Bewegung. Ein Wisch mit dem Finger nach unten und die Brille kehrt wieder zurück in Standby.

Diese Features sollten den Träger so bequem wie möglich in allen Lebenslagen unterstützen, ohne dass dabei nur ein einziges Mal das Smartphone gezückt werden müsste. Klingt so einfach wie genial und dennoch wurde der Verkauf der Datenbrille nach weniger als einem Jahr wieder eingestellt. Allein die Google-Suche nach den Begriffen „Google Glass failed“ erreicht weit über vier Millionen Treffer (Stand Februar 2017). Offensichtlich sorgte das Scheitern der Datenbrille also für ausgiebigen Diskussionsstoff. Eine Einordnung der Gründe des Misslingens sowie wie ein Ausblick auf die Zukunft der Datenbrille soll Gegenstand der weiteren Ausführungen sein. Doch zunächst ein Blick zurück…

Rückblick: Entstehung der Google Glass

Es war schon im Februar 2012, vor inzwischen genau fünf Jahren, als die ersten Gerüchte über eine Datenbrille aus dem Innovationslabor Google X des Suchmaschinengiganten in die Öffentlichkeit gelangten. Zu diesem Zeitpunkt war aber weder der Name des Geräts bekannt, noch wurden die Entwicklungen an einem derartigen Augmented Reality (AR) Device seitens Google öffentlich bestätigt. Erst zwei Monate später wurde das Projekt der Datenbrille unter dem Arbeitstitel „Project Glass“ offiziell verkündet. Daraufhin sollte noch ein Jahr bis zur Auslieferung eines Prototyps der Datenbrille an ausgewählte Nutzer vergehen. Dieser Schritt wurde dabei bewusst gewählt, um sich erste professionelle Feedbacks der Tester zur Datenbrille einzuholen. Es folgten mehrfache Verschiebungen des Produkt Launchs für die Allgemeinheit, bis die Datenbrille Google Glass im April 2014 erstmals frei verkäuflich in den USA erhältlich war. Doch das gewaltige Aufsehen rund um die Brille währte aufgrund mangelnder Alltagstauglichkeit nicht lange an, sodass im Januar 2015 die Onlinebestellmöglichkeit endgültig gestoppt wurde. In Vergessenheit geriet das Gerät dennoch nicht und viele Stimmen waren der Meinung, dass Google in der Entwicklung einer Nachfolgegeneration aus seinen Fehlern lernen würde. So kamen schon Ende desselben Jahres wieder erste Gerüchte über eine Google Glass 2 („Enterprise Edition“) auf, welche sich dieses Mal jedoch vornehmlich auf den Einsatz im professionellen Umfeld wie beispielsweise der Fertigung oder der Medizin konzentrieren sollte. Weil Google daraufhin aber von sich aus bis jetzt nichts mehr lieferte, wurde es zunehmend ruhiger um die Datenbrille, bis auf ein Mindestmaß – ein Grundrauschen – welches auch bis heute nicht mehr lauter werden sollte.

Die Intensität dieses öffentlichen Meinungsaustauschs, gemessen an Google Trends, weist über den beschriebenen Zeitraum ebenso eine deutliche Korrelation zu den Ereignisstationen der beschriebenen Timeline auf.

Zeitstrahl Stationen Google Glass Entwicklung

Eigene Darstellung:  Der Zeitstrahl macht die verschiedenen Stationen in der Google Glass Entwicklung deutlich und zeigt parallel dazu wie sich die Suchanfragen, als Indikator für das Interesse, verhalten haben.

Ursachen des Scheitern der Google Datenbrille

Unbeantwortet bleibt bis hierhin die Frage nach dem „Warum“. Kurz angesprochen wurde die fehlende Alltagstauglichkeit der Datenbrille. Doch was hat genau dahinter gesteckt, warum konnte das anfangs vielversprechende Gerät nur so eine wenig glanzvolle Laufbahn bestreiten? Im Folgenden sind dazu die Hintergründe des Fehlschlags in drei Dimensionen eingeordnet, welche aber keinesfalls isoliert betrachtet werden sollten, sondern vielmehr diverse Anknüpfungspunkte aufweisen.

Produktperspektive

But I think they’ve failed in that they have this thing outside your primary field of view, and it’s really information display, not augmented reality.
– Jennifer Carter, 2014

Das Zitat, welches von einer Augmented Reality Entwicklerin aus dem militärischen Bereich stammt – wo Augmented Reality schon länger erfolgreich zum Einsatz kommt – , kritisiert deutlich die fehlende Kontextsensivität der Datenbrille Google Glass. Konkret wird angesprochen, dass die Datenbrille in ihrer Funktion vielmehr ein erweitertes Display des Smartphones im oberen Bereich des Sichtfelds darstellte, als wirklich auf die Umwelt zu reagieren. Das eigentliche Potential von Augmented Reality, also das Anreichern der realen Umgebung mit virtuellen Elementen, blieb folglich unausgeschöpft. Beispielsweise beim Blick auf die Brooklyn Bridge zeigte die Datenbrille also nicht automatisch die Länge der Brücke an, wie es ein damaliger Werbespot von Google suggerierte, sondern nur durch explizite Nachfrage. Dies lag darin begründet, dass das Gerät nicht oder nur rudimentär den Standort oder das aktuelle Kamerabild mit anderen Anwendungen verknüpfte. So fehlte es allein schon am Input der Daten, die für eine kontextuelle Einblendung von Informationen notwendig gewesen wären. Daneben seien noch hardwareseitige Argumente genannt. Dazu gehörte die Akkulaufzeit, die laut Herstellerangaben acht Stunden betragen sollte, doch in Wirklichkeit bei etwas intensiverer Nutzung nie über zwei Stunden hinauskam. Ebenso muss die Bildqualität der integrierten Kamera erwähnt werden, die laut Tests allerhöchstens der eines Mittelklasse-Smartphones entsprach, und es war nicht zuletzt der Preis von horrenden 1.500 US-Dollar der der Verbreitung der Datenbrille nicht gerade Aufwind verliehen hat.

Soziale Perspektive

© Stop the Cyborgs: Google Glass Verbotsschild

© Stop the Cyborgs: Google Glass Verbotsschild

In der Gesellschaft konnte die Datenbrille Google Glass nie eine wirkliche Akzeptanz erreichen. Die größte Barriere hier war sicherlich der Cyborg-Look, den der Nutzer einer Datenbrille Google Glass, laut vielerorts dominierender Meinung, unweigerlich beim Tragen bekam. Dies ging so weit, dass Initiativen wie zum Beispiel „Stop the Cyborgs“ gegründet wurden, die sich besonders gegen Personen mit der Datenbrille Google Glass richteten.

Jene Vereinigungen kreierten sogar spezielle Verbotsschilder, die die vermeintlichen „Mischwesen“ aus Mensch und Maschine bewusst ausgrenzen sollten. So gab es einige Restaurants oder Cafés, in denen, seitens der Betreiber, Träger der Datenbrille unerwünscht waren und somit eine Google Glass freie Zone entstand – Konsequenzen, die auch stark durch die Argumente der nachfolgenden Datenschutzperspektive bedingt waren.

Außerdem empfand man das Design als außerordentlich optisch auffällig, globig und nur wenig massentauglich. Dies führte dazu, dass Besitzer einer Google Glass-Datenbrille schon von weitem als solche erkannt wurden und ihnen grundsätzlich mit Misstrauen begegnet wurde. Von der fehlenden Coolness des Produkts ganz zu schweigen.

Datenschutzperspektive

Besonders schwer wogen bei der Datenbrille Google Glass sicherlich die Bedenken im Bereich des Datenschutzes, die auch die massive Front gegen das Produkt aus dem Hause Google auf den Plan riefen. Allen voran war es die nicht zu übersehende integrierte Kamera, welche für die Besorgnis bezüglich einer möglichen Verletzung der Privatsphäre verantwortlich war. Es war die Situation der stets auf jemanden gerichteten Kamera beziehungsweise des Mikrofons, welche für alle Beteiligten unangenehm war und schnell mit dem Recht am eigenen Bild und Wort in Konflikt geriet. Da das Auslösen eines Schnappschusses per bloßem Zwinkern möglich war, mussten Personen in der Umgebung eines Google Glass Trägers zurecht befürchten, dass sie aktuell aufgenommen werden. Auch wenn widerlegt werden konnte, dass die Sensoren wie Kamera und Mikrofon „always on“ sind und so permanent Daten mit den Google Servern austauschten, bestand für Außenstehende dennoch das Gefühl der ständigen Überwachung. Dieses Datenschutzrisiko für Träger und umgebende Personen führte zu zahlreichen Verboten und Diskriminierungen von Google Glass Besitzern. So gab es nicht nur die angesprochenen Restaurants und Cafés, in denen sie das Nachsehen hatten, sondern auch in Casinos, Kinos und im gesamten Russland bestand „Hausverbot“.

Google reagierte und veröffentlichte einen Katalog mit Benimmregeln. Die Etiquette, quasi ein moderner Knigge speziell für die Google Glass, enthielt „Do’s“ und „Don’ts“ die vorgaben, wie man sich als guter Träger einer Google Glass Datenbrille zu verhalten hat. Derartige Empfehlungen wie zum Beispiel der Hinweis, dass man doch grundsätzlich nachfragen sollte, bevor man ein Foto schießt, sollten die Besitzer davor bewahren als „Glassholes“ zu gelten. Eine Beleidigung, die geprägt wurde, um speziell solche Träger abzustempeln, welche die Privatsphäre anderer mit ihrer Brille nicht respektierten. Darüber hinaus wurde auch am Gerät selbst gehandelt: beim Fotografieren oder Filmen aktivierte sich immer ein Lämpchen an der Vorderseite der Brille, um Außenstehende über die aktuelle Aufnahme zu benachrichtigen. Gegner der Glass gingen sogar so weit, dass sie eigens ein „Anti-Face Detection Make Up“ entwickelten, dass das Gesicht für eine Auswertung mittels Software unkenntlich machte.

Ausblick: Wie geht es weiter mit Google Glass?

Fett gedruckt prangt aktuell auf der offiziellen Google Glass Website der Schriftzug: „The Journey doesn’t end here“. Eine Aussage die zu verstehen gibt, dass Google wohl noch mit der Entwicklung einer weiteren Google Glass Datenbrillen-Generation beschäftigt ist. Ansonsten herrscht jedoch weitgehende Leere auf der Homepage. Bis auf einen eigentlich unscheinbaren Button, der nichtsdestotrotz einen greifbaren Hinweis liefert. Verlinkt ist das Developer-Programm für Anwendungen der Google Glass-Datenbrille im professionellen Bereich. Dort sind eine Handvoll „Glass Certified Partners“ gelistet, welche vorrangig im medizinischen Bereich tätig sind. Dies scheint die damaligen Gerüchte von 2015 über ein nächstes Google Glass Modell, das sich an Unternehmenskunden richtet, zu bekräftigen, wenngleich auch die Übersicht seit knapp einem Jahr nicht mehr aktualisiert wurde. Aber auch bei einer Version für Privatanwender könnte das letzte Wort noch nicht gesprochen sein. Denn nicht zu vergessen bleibt das einflussreiche „Privacy Paradox“, also das Phänomen, das besagt, dass User sich für eine Plattform entscheiden beziehungsweise ihr treu bleiben, obwohl berechtigte Bedenken beim Datenschutz bestehen, nur weil die Vorteile, die ihnen das System bietet, überwiegen. So geschehen bei der Übernahme von WhatsApp durch Facebook. Auch hier war der Aufschrei damals groß, dass sämtliche Daten des Messengers nun in die Hände der Datenkrake des sozialen Netzwerks fallen. Und dennoch fiel die Nutzerabwanderung unbedeutend aus.

Wann es jedoch weitergeht, wie ein Nachfolger aussehen könnte oder ob es diesen überhaupt geben wird, verbleibt jedoch momentan aufgrund der dünnen Informationslage eine Spekulation.

Abschließende Betrachtung

Die Recherche über die verschiedenen Ereignisse in der Google Glass Timeline zeigte eine Mischung aus einer erwartungsvollen Gerüchteküche, verschobenen Release Dates und einer eigentlichen Marktphase, die nicht sonderlich lange andauerte. Auf eine weitere Generation oder Ankündigungen von Google wartet man bis heute vergebens. Dabei blieb es der Datenbrille von Google verwehrt, zu seiner Zeit wirklich Fuß zu fassen. Zu groß waren die Vorbehalte hinsichtlich Produkteigenschaften, gesellschaftlicher Akzeptanz und Wahrung der Privatsphäre. Auf der Produktseite wurde die mangelhafte Augmented Reality Funktionalität, die schwache Akkulaufzeit, die dürftige Kamera und der hohe Preis kritisiert. In Bezug auf die soziale Perspektive ergaben sich Probleme durch das Design, welches vielen zu auffällig und zu markant war, als dass man die Brille ohne Weiteres in der Öffentlichkeit hat tragen können. Einige sahen die Personen mit einer Google Glass sogar so stark durch eine Maschine erweitert, dass sie sie als Cyborgs empfanden. Daneben war es vor allem die offensichtliche Kamera, die permanent auf Außenstehende gerichtet war und dort die Angst auf eine Verletzung der Privatsphäre auslöste.

Ein wesentlicher Faktor des Misserfolgs der Google Glass-Datenbrille lag sicherlich aber auch darin, dass es die Datenbrille nicht schaffte dem User über die Produktfeatures einen hinreichenden Mehrwert zu liefern, der ihn so stark an das Produkt gebunden hätte („Lock-In“), dass etwaige Datenschutzbedenken überwogen worden wären. An und für sich ist Augmented Reality aktuell ein vielversprechendes Thema und Google hat mit der Datenbrille “Google Glass” einen Grundstein für die erweiterte Realität gelegt. Über diesen Grundstein schaffte es die Datenbrille allerdings nie hinaus und falls nicht entscheidende Produktmerkmale bei einer Nachfolgegeneration geändert werden, wird sich daran voraussichtlich auch nichts ändern.

 

Ein Beitrag von Andreas Burosch