Scheitern ist salonfähig geworden. Während man früher jeden noch so kleinen Misserfolg unter den Teppich gekehrt hat, gibt es heute immer mehr CEOs oder mittlerweile Ex-CEOs, die offen über ihre Niederlagen sprechen. Kurzum: Scheitern ist in aller Munde. In unserer Reihe „F***d Companies – Geschichten vom Scheitern“ erzählen wir von Unternehmen, deren Geschäftsmodell misslungen ist. Bachelorstudenten der Hochschule der Medien haben sich in einem Seminar bei Prof. Dr. Wolfgang Gruel, Leiter des Instituts für Mobility und Digital Innovation, mit der Frage beschäftigt, warum der Erfolg ausgeblieben ist und ihre Ergebnisse mit uns geteilt.
Die Niederlage des Berliner Anti-Depressions-Startups „Humly“
Heute widmen wir uns der Niederlage des Berliner Anti-Depressions-Startups „Humly“. Das Unternehmen wurde im Juni 2016 gegründet, hatte 17 Mitarbeiter und musste bereits ein halbes Jahr später Insolvenz anmelden. Mit personalisierten Selbsthilfekursen wollte Gründer und Geschäftsführer Philipp Joas seine Kunden darin unterstützen, sich um ihre psychische Gesundheit zu kümmern. Als „Freeletics für die Psyche“ könne man die Geschäftsidee bezeichnen, so Joas. Denn während sich Menschen gesund ernähren, auf ausreichend Bewegung achten und ihr Äußeres pflegen, wird das Innere, die Psyche, häufig vernachlässigt. Das liegt auch daran, dass psychische Krankheiten immer noch ein Tabu-Thema in unserer Gesellschaft sind. Bis zu zehn Jahre kann es dauern, bis jemand mit psychischen Problemen einen Arzt aufsucht. Grund dafür sind neben der hohen Hemmschwelle, die oft mehrere Jahre andauern kann, sehr lange Wartezeiten für professionelle Behandlungen. Das Start-up Humly wollte genau hier ansetzen und eine frühzeitige, präventive Selbstbehandlung ermöglichen.
Ein „Trainingsplan“ für die Psyche, der teuer werden konnte
Auf der Webseite des Unternehmens haben registrierte Nutzer auf Basis einer persönlichen Befragung einen individuellen „Trainingsplan“ erhalten. Einzelne Trainingseinheiten bestanden beispielsweise darin, mit Stress umzugehen oder an Ängsten zu arbeiten. Auf der Webseite oder über eine eigene App konnten Kunden für neun Euro pro Monat die Übungen starten. Dabei garantierten die Hersteller nicht zuletzt durch eine Kooperation mit der LMU München, dass die Trainingsinhalte den hohen psychologischen und wissenschaftlichen Standards entsprachen. Allerdings wurde das Leistungspaket schnell teuer. Denn wer sich online von einem Psychologen beraten lassen wollte, zahlte monatlich 49 Euro – für einen Aufpreis von einem weiteren Euro gab es noch ein 30-minütiges Telefonat obendrauf.
Warum Humly bereits nach einem halben Jahr scheiterte
Im ersten halben Jahr erreiche Humly rund 1.000 Registrierungen, was jedoch nicht ausreichend war, um die immensen Personal- und Entwicklungskosten zu decken. Denn ein Produkt, das so komplex ist, erfordert spezielles Fachwissen – und das ist wiederrum teuer. Gleichzeitig ist der Anti-Depressions-Markt von starken Konkurrenten, wie Arya, Selfapy oder Moodpath, dominiert, die bereits ähnliche Angebote bieten. Neue Kunden, die auch noch dazu bereit waren, einen vergleichsweise hohen Preis für ein ähnliches Angebot zu bezahlen, konnten nur schwer gewonnen werden. Schnell waren die 250.000 Euro Startkapital von Rheingau Founders aufgebraucht und das Unternehmen musste nach nur sechs Monaten Insolvenz anmelden.
Das hätte, so das Resümee der Bachelorstudenten, verhindert werden können. So sehen die Studenten vor allem im Bereich der Business-Planung ein großes Verbesserungspotenzial. Die Kosten und Einnahmen hätten von Anfang an detaillierter berechnet werden müssen. Ebenso hat das Start-up keine klare Positionierung im Markt eingenommen, um sich von der Konkurrenz zu unterscheiden. Denn ein eindeutiges Alleinstellungsmerkmal, der USP (unique selling proposition), ist vor allem beim Eintritt in einen Markt mit starker Konkurrenz essentiell. Als letzten Kritikpunkt bemängeln die Bachelorstudenten die Preispolitik von Humly. So befanden sich die Trainingsangebote auf demselben, vergleichsweise hohen Preisniveau wie die Angebote der Marktführer.
Ob das Unternehmen nochmal einen zweiten Anlauf mit neuer Strategie startet, ist bislang ungewiss.