Die Internet Innovators unterhielten sich mit Florian Schumacher, Gründer der Quantified-Self Bewegung in Deutschland und Digital Health Consultant bei der Unternehmensberatung iic-solutions in München. Der passionierte Self Tracker sprach nicht nur über die Entstehung der Quantified-Self Bewegung, sondern gab auch Insights über mögliche Zukunftsszenarien.
Die Geschichte der Quantified-Self Bewegung
Rund um die Uhr vermessen wir uns. Da werden Schritte gezählt, Bewegungsabläufe protokolliert, der Kalorienverbrauch aufgezeichnet und bestimmt, wie fit wir sind. Doch wann begann eigentlich der Trend, dass mehr und mehr Menschen versuchen, sich mittels Selbstvermessung zu optimieren? Ihren Anfang nahm die Quantified-Self Bewegung im Jahr 2008. Als Trend identifiziert wurde Self Tracking in diesem Jahr zum viel diskutierten Thema. Mit der Gründung des Blogs quantifiedself.com wollten Garry Wolf, Redakteur und Kevin Kelly, Gründer des Wired Magazin, über neue Technologien zur Vermessung des Menschen berichten. Schnell etablierte sich der Blog als eine Plattform, um sich dort über Trends, Entwicklungen und eigene Erfahrungen bezüglich des Self Trackings auszutauschen. Erst ein paar Jahre später – im Jahr 2012 – trat Florian Schumacher der Quantified-Self Bewegung bei. Und mehr noch: Er etablierte diese in Deutschland zu einer angesehenen Community für Anwender und Anbieter von Self-Tracking Lösungen. Die Bewegung von Selbstvermessern verfolgt aber nicht nur das Motto „Selbsterkenntnis durch Zahlen“.
„Das Ziel unserer Aktivitäten ist vor allem auch die Förderung des Austausches unter Anwendern. Dabei geht es darum, Wissen darüber weiterzugeben, wie Self-Tracking Lösungen funktionieren und welche Vorteile sich aus dem Einsatz einzelner Produkte in unterschiedlichen Bereichen ergeben. Weiterhin geht es geht darum, Anwender und Anbieter untereinander zu vernetzen. So, dass den Anwendern ermöglicht wird, die Anbieter kennen zu lernen und natürlich auch umgekehrt. Nur so können sich die Anbieter ein Bild von den Bedürfnissen der Anwender machen.“
Weltweit hat die Quantified-Self Bewegung schon heute über 30.000 Mitglieder in etwa 160 regionalen Gruppen. Und auch in Deutschland ist das Interesse an der Thematik in den letzten Jahren merklich gestiegen.
Weltweite Quantified-Self Gruppen – Bildquelle: https://was-ist-quantified-self.de/
Warum wir uns eigentlich vermessen?
Beim gezielten Self Tracking geht es im Kern darum, weitreichende Erkenntnisse über sich selbst zu erhalten. Schlafe ich genügend? Bewege ich mich ausreichend? Wie hoch ist mein Puls?
„Man kann eben Sachen erfahren, die man vorher so noch nicht wusste. Das heißt also, man kann sich selbst besser kennen lernen. So kann Self Tracking beispielsweise zur Erweiterung der Sinne beitragen oder auch eine Möglichkeit sein, die eigenen Sinne zu schärfen. Denn in vielen Fällen ist die menschliche Wahrnehmung einfach nicht präzise genug. Deshalb kann so ein externen Sinn – der einem hilft Trends schon zu erkennen, bevor sie mit physischen Sinnen wahrnehmbar sind – in unterschiedlichsten Lebenssituationen helfen, besser zurechtzukommen.“
Weiterhin kann der Aspekt der Selbstmotivation als ein Grund für die stetige Vermessung des eigenen Körpers genannt werden. Sportliche Erfolge oder eine gesunde Lebensweise, die mittels eingesetzter Tracker präzise festgestellt werden, können dann langfristig für ein besseres Lebensgefühl sorgen. Viele Menschen sehen Erfolge, die ihnen ihre Smartwatch oder ihr Fitness-Tracker aufzeigt als eine Bestätigung an, dass sie Etwas geleistet haben. Und sie sind stolz darauf, weiß Florian Schumacher:
„Wenn sie also joggen gehen und eine App verwenden und das Smartphone ihnen anzeigt, wie weit sie schon gelaufen sind, dann macht sie das glücklicher, als einfach nur so zu laufen.“
Was können wir eigentlich alles vermessen?
Denkt man an Self Tracking ist das häufig mit der Datensammlung über den eigenen Körper hinsichtlich gesundheitsrelevanter Daten verbunden. Ärzte, Krankenversicherungen wie auch sonstige Anbieter für ein gesundes Leben wie beispielsweise Fitnessstudios machen sich die gesammelten Daten ihrer Kunden heutzutage zu nutze. Trotzdem sollte man sich vor Augen halten, dass das Sammeln von Daten nicht nur in diesem Bereich sinnvoll sein kann. Vielmehr geht es bei Self Tracking Lösungen um Methoden, wie Daten über sämtliche Lebensbereiche erfasst werden können. Neben Gesundheit und Sport können deshalb ebenfalls Emotionen und Finanzen interessante Bereiche sein, in denen Self Tracking künftig eine Rolle spielen wird.
„Die Idee von Quantified-Self ist, den Menschen zu unterstützen, wenn er mit seiner menschlichen Auffassungsgabe und seinem Erinnerungsvermögen Dinge aufgrund von subjektiven Filtern nicht mehr nachvollziehen kann. Deshalb kann das Sammeln von Daten in allen Lebensbereichen sinnvoll sein.“
Am Ende geht es aber nicht nur darum, Daten mittels immer kleiner werdenden Körperscannern aufzuzeichnen sondern auch darum, Daten entsprechend zu interpretieren. Vor allem Unternehmen, die Daten über ihre Kunden sammeln, müssen lernen mit diesen umzugehen, sie auszuwerten und mittels gewonnener Erkenntnisse das Erlebnis und die Erfahrung mit dem eigenen Produkt zu verbessern. Trotzdem:
„Es geht bei Quantified-Self ja auch darum, dass natürlich auch ich als Person wissen möchte, was andere über mich wissen. Und wenn das gegeben ist – also die Tatsache, dass die Informationen für beide Seiten verfügbar und nachvollziehbar sind – ist das für beide Seiten wertvoll. Nur dann können sowohl die Menschen also auch die Unternehmen mit den generierten Daten arbeiten. Und dann, glaube ich, werden die Vorteile des Quantified-Self überwiegen.“
Effekte stetiger Datensammlung
Eine Entwicklung, die sich unter anderem aus der Quantified-Self Bewegung ergibt ist ein zunehmender individueller und personalisierter Umgang mit Personen.
„Da ist nicht mehr jeder Mensch gleich. Dann ist zum Beispiel nicht mehr jeder, der eine Krankheit hat, gleich, sondern man schaut sich das Ganze im Detail an. Um der unglaublichen Komplexität eines menschlichen Körpers gerecht zu werden und Krankheitsfälle individueller zu behandeln, werden zukünftig sicherlich noch sehr viele weitere Technologien entwickelt werden.“
Aber genau dieser Aspekt – nämlich der stetige Verlust der Privatsphäre und der Anonymität – wird von Kritikern der passionierten Datensammler immer wieder fokussiert. Ab und zu sollte man sich eben doch fragen: „Wollen wir wirklich, dass die ganze Welt alles über uns weiß?“ Für Werbefachleute und Marketingmanager ist die enorme Menge an Daten, die schon heute über ihre Zielgruppen vorhanden ist, natürlich eine enorme Chance, Werbung noch mehr als bisher auf diese auszurichten.
„Werbung wird natürlich heute schon sehr stark personalisiert, was sich sicherlich auch weiter fortsetzen wird. Aber ob die Self Tracking Daten hier wirklich mit einfließen, dass glaub ich weniger. Auf jeden Fall werden sich viele Menschen Wege suchen, sich davor zu schützten. Ich glaube, dass generierten Daten durch Selbstvermessung eher im Bereich der Forschung zukünftig eine wichtigere Rolle spiele.“
Ob man der Quantified-Self Bewegung nun positiv oder negativ gegenübersteht. Die Faszination der Selbstvermessung bleibt unumstritten ein kontroverser Diskurs. Fragen nach datenschutz-rechtlichen Regelungen, wie auch nach dem MUSS der stetigen Optimierung des eigenen Privatlebens und dem damit einhergehenden Verlust der Privatsphäre werden uns somit auch künftig weiter beschäftigen. Florian Schumacher ist auf jeden Fall positiv gestimmt und ist der Meinung, dass in vielen Fällen der Vorteil neues Wissen zu generieren im Rahmen der Quantified-Self Bewegung überwiegt.
Quellen:
https://www.christoph-koch.net/bucher/die-vermessung-meiner-welt
https://was-ist-quantified-self.de
https://qsdeutschland.de