Die digitale Transformation betrifft heutzutage ganz unterschiedliche Geschäftszweige, auch die Musikwirtschaft ist von den Veränderungen betroffen. Professor Dr. Peter Tschmuck vom Institut für Kulturmanagement und Gender Studies an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien forscht unter anderem zu den Themen Musikwirtschaft und Kulturpolitik. Auf dem Stuttgarter Medienkongress 2017 gab er einen umfassenden Überblick darüber, wie die Musikindustrie auf die digitale Transformation reagiert hat und welche Möglichkeiten sich aufgrund von disruptiven Innovationen für diese ergeben.
Was ist die digitale Transformation?
Die digitale Transformation stellt eine Verschiebung dar, wenn nicht sogar eine Revolution – vor allem im Nutzerverhalten. Dies wirkt sich in der Musikwirtschaft so aus, dass die Musikschaffenden in das Zentrum der Wertschöpfungskette getreten sind. Früher waren Tonträger das zentrale Produkt der Wertschöpfungskette, es ging darum Tonträger zu verkaufen. Das war der Grund dafür, warum die Labels die Mächtigen in der Musikindustrie waren. Allerdings hat sich dieses Verhältnis durch die Digitalisierung verschoben.
Bei der heutigen Betrachtung des Wertschöpfungsnetzwerks sieht man das Zusammenlaufen aller Einkommensströme der Musikschaffenden. Wer innerhalb des Netzwerks Geld verdienen möchte, muss dem Musikschaffenden in irgendeiner Form eine Leistung bieten – das ist die große Veränderung der Digitalisierung. Wie die Medientheorie besagt: Ursprünglich wurden Inhalte in das Publikum hineingedrückt (push) und heute holen sich die Leute es aus den Kanälen heraus (pull) – und das ist in der Musikwirtschaft nicht anders.
Was kann man von der Musikwirtschaft lernen?
Nach Tschmuck kann man vor allem aus den Fehlern der Musikindustrie lernen, die lange Zeit digitale Geschäftsmodelle vernachlässigt hat. Um die 2000er stieß sie auf Napster und Filesharing, jedoch begegnete sie diesen ablehnend gegenüber. Hier wiederholte sich ein Muster, welches in der Musikindustrie bereits in früheren Zeitabschnitten schon einmal stattgefunden hat. Als der Rundfunk aufkam, kamen Reaktionen wie „Dieses Geschäftsmodell Rundfunk geht uns nichts an, wir verkaufen Tonträger“ und gleichermaßen lief bzw. läuft es mit der Digitalisierung. Erst im Laufe der Zeit kam die Erkenntnis, dass man sich mit diesen neuen digitalen Möglichkeiten intensiver auseinandersetzen musste.
Die Hauptleidtragenden der Transformation sind nun die Musikschaffenden selbst. Diese haben sich durch die Digitalisierung bis zu einem gewissen Grad von Intermediären emanzipiert. In der Streaming-Ökonomie haben diese nun das Problem, dass sie nicht über große Kataloge verfügen, die auch gehört werden. Demnach ist es wesentlich schwieriger, genug zu verdienen, um davon leben zu können. Selbst große Stars profitieren heute noch von Downloads und CD-Verkäufen. Sie konzentrieren sich im Sinne des Windowings bewusst auf die Verkäufe und halten demnach die Musik vom Streaming fern. Nachdem dieses Geschäft gelaufen ist, kann mit Streaming noch weiter Umsatz generiert werden. Die Musikschaffenden sind demnach in das Zentrum der Wertschöpfungskette gerückt und gleichzeitig sind sie auch die Verlierer der Entwicklung. Sie müssen viel selbst in die Hand nehmen und können sich nicht darauf verlassen, dass ein Label das für sie erledigt. Manchen gelingt dies zum Beispiel über Soziale Netzwerke wie YouTube.
Bei disruptive Innovation denkt man gleich an Blockchain – wie hängen die Bereiche zusammen?
„Disruptive Innovation besteht darin, dass ein völlig neues Wertschöpfungsnetzwerk in einer Industrie etabliert wird, mit dem die angestammten Akteure nicht umgehen können.“ In der Musikindustrie bedeutet das, dass die Disruption mit Napster und Filesharing begann und sich ein neues Konsumentenverhalten etablieren konnte. Problematisch für die bereits bestehenden Akteure der Branche ist, dass sie bereits im eigenen traditionellen Geschäftsmodell „gefangen“ sind und das Ausbrechen schwerfällt. Disruptive Technologien werden demnach für die traditionellen Akteure zu einem Problem, da der Versuch gestartet wird, sich in kürzester Zeit anzupassen, ohne die Konsequenzen zu kennen.
Die Blockchain ist eine Technologie, die disruptives Potential hat, jedoch kann derzeit noch nicht eingeschätzt werden, ob dieses Potential auch ausgenutzt wird. Die Blockchain könnte für Musikschaffende eine Möglichkeit darstellen, um noch mehr in die eigene Hand zu nehmen. Hierzu zählt unter anderem, dass sie sich noch weiter von Intermediären emanzipieren können. Beispielsweise hat die britische Sängerin Imogen Heap für den Song „Tiny Human“ die Blockchain-Technologie verwendet. Sie definierte selbst, welcher Anteil eines Downloads an sie selbst fließt und welcher an die beteiligten Musiker. Dies zusammen mit der Verknüpfung einer Kryptowährung wie z.B. dem Bitcoin, kann zu einem direkten Zahlungsfluss zwischen Musikfans und Musikschaffenden führen. Keine Intermediäre wie Musikverlage spielen demzufolge mehr eine Rolle. Spätestens wenn eine weitere „Killerapplikation“ (wie Spotify für Streaming) erscheint, wird sich herausstellen, welches disruptive Potential vorhanden ist und was das genau für etablierte Akteure bedeuten wird.
Ist die Blockchain nun eine Technologie mit Potenzial?
„Also ich bin fest davon überzeugt, dass die Blockchain nicht nur die Musikindustrie, sondern unser ganzes Leben verändern wird. Also die Art und Weise wie wir derzeit konsumieren, wird völlig über den Haufen geschmissen werden. Und wir werden noch überrascht sein, was die Blockchain alles bringen wird. Ich denke die Blockchain hat von der Wirkung ungefähr das gleiche Potential wie das Internet, also wir können es uns zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ausmalen, aber wer hätte 1990 vorhersagen können, welche Wirkungen das Internet gehabt hätte und in der Situation sind wir heute.“ Zitat Prof. Dr. Tschmuck