„Good Design can change the world“ – Aber was ist heutzutage gutes Design?

Jochen Rädeker Foto: Kim Heck

„83 Prozent der Hirnaktivitäten werden durch den Sehnerv angeregt. Design ist Dope für den Sehnerv. Design stimuliert, es bringt uns gute oder schlechte Gefühle über das Auge ins Unterbewusstsein. Das bedeutet, mit einer entsprechenden Designleistung können wir die Welt zu einem besseren oder schlechteren Ort machen. Das bleibt ganz uns überlassen“ – erklärt Jochen Rädeker. Er ist Mitgründer und Geschäftsführer der Designagentur Strichpunkt mit Sitz in Stuttgart und Berlin. Die Arbeiten von Jochen Rädeker wurden mit rund 500 internationalen Awards ausgezeichnet. Im Interview verrät er uns das Geheimnis seines Erfolges.

Wie kam es zur Gründung der Designagentur?

Ich habe Kirsten Dietz im Studium kennen gelernt. Wir haben damals schon immer selbstständig Jobs gemacht und gegenseitig Urlaubsvertretungen gemacht. Daraus ist dann irgendwann eine Zusammenarbeit geworden, die sich in Strichpunkt manifestiert hat.

Was hat es mit dem Namen „Strichpunkt“ auf sich?

Der ist durchaus programmatisch zu sehen. Den würden wir aber heute vielleicht so nicht mehr nehmen, weil er auf Englisch oder Chinesisch zum Beispiel kaum aussprechbar ist. Aber er hat damals für uns einen Gegentrend gesetzt zu den ganzen Agenturen, bei denen immer der Name der Gründer dabei war. Wir haben nach einem abstrakten Begriff gesucht. Strichpunkt ist einerseits ein sehr intelligentes Satzzeichen. Die wenigsten Leute setzten es richtig. Strichpunkte können Aufgabe und Lösung verbinden oder Kunde und Markt – die unterschiedlichsten Themen. Das verbindende Element zu sein ist genau das, was für mich gutes Design und Kommunikation ausmacht.

Und zum anderen ist es einfach emotional: „Punkt, Punkt, Komma, Strich – fertig ist das Mondgesicht“. Das fanden wir einfach nett.

Sie sind seit Jahren bei Kreativrankings ganz oben mit dabei und arbeiten vor allem im digitalen Bereich – Ist man in der digitalen Welt anders kreativ?

Die mediale Wirkung ist eine andere und die muss man bei einer kreativen Idee natürlich berücksichtigen. Das heißt, wenn man eine Idee hat, muss man die Idee auch so umsetzten, dass sie in dem Medium, das meine Zielgruppe erreicht, auch die beste Wirkung hat. Das ist im Social Media Bereich beispielsweise etwas ganz Anderes, als bei einer Print-Broschüre. Schon von der Technologie her, aber auch von der Art und Weise, wie ich Menschen anspreche.

Was sind die Trends der Kreativbranche?

Das Design wird einfacher. Das hängt mit der Größe von Displays zusammen. Wir brauchen neue Bewertungskriterien, wie Interaktionsverhalten, Response oder Bewegungsabläufe. Das Bewegtbild wird immer wichtiger. Außerdem gibt es einen Trend zur Kollaboration – also der Zusammenarbeit über unterschiedliche Gewerke hinweg. Man muss grundsätzlich über den Tellerrand hinausschauen. Es gilt aber auch schneller zu werden. Die Medien funktionieren sehr schnell. Man muss schneller reagieren und sich daran gewöhnen „always Beta“ zu sein. Das bedeutet man muss akzeptieren, dass die eigene Arbeit zu einem Zeitpunkt richtig war und etwas später dann schon wieder nicht mehr richtig ist.

Sie Arbeiten nach dem Motto „The interface becomes the brand“ – Was ist damit gemeint?

Es geht um das Gestalten für bestimmte Medien. Der zentrale Wirkfaktor einer Marke ist nicht mehr das Logo, sondern das Interface. Die meisten Markenerlebnisse, die wir früher hatten, sind so abgelaufen: Wir gehen in den Supermarkt nehmen etwas aus dem Regal und haben eine Marke oder ein Packaging in der Hand. Das ist nach wie vor relevant, aber mehrere  Marken sehen wir zuerst digital. Dieses Interface Design kann ich positiv oder negativ wahrnehmen. Ich kann es als positive User Experience wahrnehmen oder ich kann mich darin verlieren, es unlogisch, kalt oder warm finden. Wenn man dem Interface Design also keine zentrale Rolle anmisst, dann macht man meiner Meinung nach einen Fehler.

Dieses Prinzip haben Sie auch bei einem Großprojekt mit Audi umgesetzt – was haben Sie da genau gemacht?

Wir haben bei Audi ganz konsequent „digital first“ gedacht. Wir haben nach den Prinzipien des „Atomic Designs“ die kleinsten Formen zuerst gestaltet. Angefangen bei der Ikonografie weiter über einzelne Module für digitale Anwendungen und dann ging es erst um die komplexeren Formate und auch Print. Ziel war es ein konsistentes Markenerlebnis herzustellen von den kleinsten Device bis zur größten Anwendung auf zum Beispiel Messeständen. Wenn ich auf meinem Handy die Audi-App öffne, möchte ich das gleiche Markenbild sehen, wie wenn ich im Verkaufsraumstehe. Das war bisher nicht der Fall.

So viel zu unserem ersten Schritt. Der war einfach nur schlau gedacht. Der zweite Schritt war radikal: Wir haben Audi geraten das gesamte Audi Corporate Design im Internet öffentlich zugänglich zu machen. Sämtliche Themen die wir gestaltet haben, haben wir veröffentlicht. Man findet also online alle Brandingelemente, inklusive Programmiersprache. Das ist revolutionär für einen Markenhersteller. Die Logik dahinter ist ganz einfach: Es gibt heute schon unendlich viele Plattformen, an denen ich mir ein schlechtes Corporate Design herunterladen kann. Wenn die Marke in Umlauf gebracht wird, dann besser mit dem richtigen Markenbild und der richtigen Wirkung.

Das heißt kurz zusammengefasst: Was braucht ein gutes Corporate Design heute?

Offenheit und Flexibilität. Klarheit und Reduktion. Parameter, die zur Wiedererkennung auch in digitalen Medien führen. Und eine gute Idee.

Zur Person

Jochen Rädeker studierte Grafikdesign an der Kunstakademie in Stuttgart. Gemeinsam mit Kirsten Dietz hat er 1996 die Designagentur Strichpunkt mit Sitz in Stuttgart und Berlin. Das Büro zählt zu den größten Kreativagenturen in Deutschland und erhielt bereits zahlreiche Preise. Seit mehr als zehn Jahren findet es sich in den Kreativrankings unter den Top Ten. Auf internationaler Ebene ist Jochen Rädeker ein gefragter Redner, Autor, Jurymitglied und Kolumnist. Darüber hinaus doziert er als Professor für Corporate Identity und Corporate Design an der HTWG Konstanz.

Wenn er sich selbst in drei Worten beschreiben müsste, antwortet Jochen Rädeker:

Unbequem: Weil ich einen relativ hohen Qualitäts-Anspruch habe.

Kreativ: Ich kann Dinge auf den Punkt bringen und dann den richtigen Dreh finden. Ich bin nicht der Beste oder der Größte, aber ich bin kreativ.

Fokussiert: Ein Wert der wichtig ist um unternehmerisch unterwegs zu sein und Projekte erfolgreich ab zu schließen.