Ambient Assisted Living

Der demografische Wandel ist nicht mehr zu leugnen. Statistiken zeigen uns heute, wie sich unsere Gesellschaft in 15 Jahren verändern wird.

Der Greying-Index beschreibt das Verhältnis der „jungen“ Alten, d.h. der Gruppe der 65-79-jährigen zu denen der „Hochaltrigen“, über 80 Jahren. Dieser Index verändert sich rapide. Kamen 1970 noch 16 Hochaltrige auf 100 junge Alte, steht die Prognose für 2030 bei 43,2 Hochaltrigen auf 100 Personen der Altersgruppe 65-79.

Neue Herausforderungen für das Pflegesystem

Die Hochaltrigen sind also die dynamischste wachsende Bevölkerungsgruppe überhaupt – mit den Babyboomern im pflegebedürftigen Alter und einem veränderten intergenerationalen Unterstützungskoeffizienten, der das Potential der sozialen und pflegerischen Unterstützung durch die folgende Generation beschreibt, steht das deutsche Pflegesystem vor neuen Herausforderungen.

Das Pflegesystem hat bereits heute seine Kapazitäten komplett ausgeschöpft; 2005 fehlten bereits 30.000 Pfleger – bis 2025 soll sich diese Entwicklung auf bis zu 112.000 fehlendes Pflegepersonal gesteigert haben. Verbunden mit dem rapiden Anstieg der pflegebedürftigen Menschen benötigt die Gesellschaft Ideen zur Lösung dieses Problems. Ein Ansatz hierzu ist das Konzept des Ambient Assisted Living – ein interdisziplinäres Forschungsgebiet, welches den demografischen Wandel, den Pflegenotstand und den Wunsch der älteren Generation, ihre eigenen Wohnungen möglichst lange, eigenständig, zu bewohnen, kombiniert.
Durch die Anwendungen neuer Technologien, insbesondere dem Internet of Things werden die aktuellen Angebote auf das grundlegendste verändert. Assistenzsysteme gestalten die Digitalisierung im Eigenheim – vornehmlich zur Kompensation alters- bzw. krankheitsbedingter Einschränkungen.

Ambient Assisted Living für Versorgung und Haushalt

Die Forschung arbeitet an einer möglichst benutzerfreundlichen Struktur von Haushaltsgeräten sowie Assistenzsystemen, die im Haushalt unterstützend agieren. So können Reinigungsroboter, die selbstständig Räume säubern, eine Unterstützung im selbstbestimmten Leben in den eigenen vier Wänden sein. Jene Automatik-Programme haben sich bereits in vielen Haushalten etabliert und stellen so den geringsten Forschungsbedarf im Anwendungsbereich AAL dar.

Ambient Assisted Living im sozialen Umfeld

Im Bereich der sozialen Versorgung spielen Kommunikationssysteme eine große Rolle. Zum Gespräch mit Verwandten werden benutzerfreundliche Geräte in Haushalte eingebaut, die auf einfachste Art und Weise Video-Konferenzen ermöglichen. Systeme zur Alltagsgestaltung, die die seelische Gesundheit stützen und auch körperliche Aspekte enthalten können stärken die Mobilität der Alleinlebenden nachhaltig. Das Ziel ist die Stärkung von sozialen Beziehungen alleinlebender Personen – der Kampf gegen die Einsamkeit wird durch diese AAL-Systeme gewonnen.

Innovative Ideen gibt es vielfach in der (digitalen) Nachbarschaftshilfe:
Mit dem Projekt „Digitale Dörfer“ zeigt zum Beispiel das Fraunhofer IESE, wie sich durch die Digitalisierung neue Chancen für ländliche Regionen auftun. Mit Hilfe der gleichnamigen App können Nachbarn gegenseitig ihre Dienstleistungen austauschen. So bringt zum Beispiel die junge Mutter der Seniorin auf dem Heimweg deren Einkäufe mit und im Gegenzug dafür kann die junge Mutter andere Dienstleistungen aus der Nachbarschaft in Anspruch nehmen.

So werden große Distanzen, die oft im ländlich Raum zu finden sind, aber auch das Problem der Isolation von älteren Menschen überbrückt. Diese intelligenten Informations- und Kommunikationstechnologien bieten dann für alle Beteiligten langfristig einen Mehrwert.

Sicherheit und Privatsphäre bei Ambient Assisted Living

Um den Pflegebedürftigen ein Gefühl von Sicherheit in den eigenen vier Wänden zu geben, forschen die Entwickler an Systemen, die die Umgebung sicher schützen können. Insbesondere Alarmfunktionen, die über die klassischen Instrumente wie Rauchmelder hinausgehen, spielen in diesem Forschungsgebiet des AAL eine Rolle. Die Installation ist dabei auf relativ einfache Art und Weise möglich. Elektrogeräte beispielsweise müssen lediglich mit einem Zwischenstecker versehen werden und können anschließend über ein Computerprogramm oder über eine Webapplikation gesteuert werden.

Auch Sturz-Erkennungssysteme können in die Räume eingebaut werden. Sensoren unter dem Fußboden registrieren den Sturz und senden via Internet einen automatischen Notruf. So wird die Infrastruktur der Wohnung optimal an den Schutz der Pflegebedürftigen angepasst. Auf die Verwendung von Mikrofonen und Kameras wird, wenn möglich, zum Schutz der Privatsphäre der Patienten komplett verzichtet. Erste Umsetzungen dieser Idee der Notrufe gibt es bereits seit vielen Jahren. Das Deutsche Rote Kreuz bietet beispielsweise den Hausnotruf an. Über einen Knopf, der zum Beispiel als Armband am Körper getragen wird, kann eine direkte Sprechverbindung zur Hausnotrufzentrale hergestellt werden. Informationen zu Medikamenteneinnahmen und vorliegenden Erkrankungen werden bei der Installierung des Hausnotrufs weitergegeben, sodass der Kommunikator über die Situation des Anrufers informiert ist und bestmöglich Hilfe leisten kann.

Im Kontext des Ambient Assisted Living werden solche Notrufe nicht mehr zwangsweise selbst per Knopfdruck ausgelöst, auch Blutdruck-Messgeräte oder Zucker-Messgeräte schlagen dann Alarm. Diese werden durch IoT-Anwendungen bearbeitet, die zum Forschungsbereich Gesundheit und Homecare gehören.

Ambient Assisted Living in Gesundheit und Homecare

Hier spielen Verwendungen zur Fernüberwachung, -diagnose und -rehabilitation als auch Präventionstechniken eine Rolle. Intelligente Assistenzsysteme sorgen dafür, dass ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden möglich gemacht wird. So sinkt der Bedarf an ambulanten Pflegekräften und steigt der Komfort für die pflegebedürftige Person enorm an. Telemedizinische Unterstützung kompensiert in diesem Anwendungsbereich Einschränkungen in der Fortbewegung, aber auch eine Erinnerungsfunktion an die Medikamenteneinnahme werden in die IoT-Systeme integriert.
Mit der Implementierung von „E-Health“, also der Anwendung elektronischer Geräte zur medizinischen Versorgung, haben die Pflegebedürftigen einen spürbaren Verbrauchernutzen. Die neuartigen, vernetzen Geräte sind mit dem Internet verbunden und können eigenständig oder auf Befehl Daten an den Arzt oder einen Pflege-Dienstleister übertragen.

Ein Beispiel stellt die Telemetrie-Plattform „smart medication“ der Universität Marburg dar. Hier können Patienten eine Heimselbstbehandlung vornehmen, durch die regelmäßige Beobachtung des Gesundheitsbildes des Patienten, in gewohnter Umgebung, kann ein kontinuierlicheres Bild gezeichnet werden und die Medikation optimal eingestellt werden.
Solche Systeme zur Ferndiagnose werden aus der Kombination verschiedener Techniken und Sensoren hergestellt um das Zuhause als neuen Gesundheitsstandort zu ermöglichen.

Technischer Hintergrund von Ambient Assisted Living

Dazu werden verschiedene Gegenstände zu „Smart Objects“ umgerüstet. Sie sammeln, senden und empfangen Daten rund um die Uhr. Durch eine eigene Internetadresse werden die Gegenstände des Internet of Things zu Kommunikatoren: durch das Internet angesprochen interagieren sie als Informationssystem. Die Möglichkeiten hier scheinen unendlich, im AAL-Anwendungsbereich spielt die Umrüstung von Haushaltsgeräten, Armbändern aber auch Betten und sogar Kleidung eine zentrale Rolle. Hier spielen insbesondere funkbasierte Sensornetze als Sicherheitsgarant und Fall-Detektor eine wichtige Rolle. RFID Chips sind primär geeignet um die Position festzustellen. Mit der Kombination jener Techniken, unterstützt von Kameras oder Mikrophonen funktioniert das Leben in den eigenen Wänden.

Über die Netzverbindung wie das eigene WLAN oder Bluetooth sind diese clevere Objekte im Austausch mit Pflegediensten, Ärzten oder Verwandten. Auch die Interaktion der Alltagsgegenstände untereinander gehört zu dieser Transformation. Die Auswertung der zahlreichen, unterschiedlichen Informationen eröffnen darüber hinaus neue Geschäftsmodelle.

Auswirkungen von Ambient Assisted Living – Die zwei Perspektiven

Die Entwicklung von Methoden und Konzepten, die hilfsbedürftigen Menschen im Alltag unterstützen haben Auswirkungen auf zwei der geschilderten Problematiken der Gesellschaft.

Die Entlastung der Pflegekräfte, die durch den enormen Pflegenotstand dringend gebraucht werden, ist hier primär zu nennen. Systeme, die eigenständig Informationen speichern, an eine App weiterleiten, die diese Daten dann in einer Kurve aufzeichnen unterstützen die Pflegekraft nicht nur in der Pflege, sondern versprechen eine genauere Diagnostik. Diese Reduktion an Unsicherheit spiegelt auch für den Patienten einen Mehrwert wider. Mit der Implementierung neuer Geschäftsmodelle kann sich die Pflege verändern – zeitsparende Untersuchungsmethoden geben den Pflegern Zeit für eine personalisierte Pflege.

Doch der Ansatz des Ambient Assisted Living sieht den Patienten im Fokus – er wird älter und wünscht sich einen möglichst langen Aufenthalt im Zuhause. Mit jenen Anwendungen ist es der älteren Generation möglich ein autonomes Leben zu führen, mit einem geringeren Aufwand. Die Möglichkeit der Heimselbstbehandlung bringt eine Verbesserung der Lebensqualität mit sich, schließlich können viele Messungen selbst vorgenommen werden, sodass die Ärzte oder Pflegedienstleister entlastet werden. Die Möglichkeiten des Selbst-Monitorings bzw. dem Monitoring über eine App bedeutet zugleich auch mehr Flexibilität und eine zuverlässigere Versorgung durch die sicheren, langfristigen Daten.

Kommunikationssysteme wie der „Hausnotruf“ sichern eine zügige Versorgung.
Insgesamt scheint das System von AAL also den Wunsch der älteren Generation, den demografischen Wandel, sowie die fehlenden Pflegekräfte vereinen.

Akzeptanz

Die Vorteile von IoT-Anwendungen im Bereich der ambulanten Pflege und Selbstversorgung sind offensichtlich, doch die Akzeptanz in der gefragten Generation ist noch nicht ausreichend.

Die Sammlung der Daten und die Verknüpfung jener, sowie die Bereitstellungen an Fachkräfte muss über einen gesicherten Server laufen – als Voraussetzung für eine Anerkennung von AAL in der Bevölkerung. Mit einer schrittweisen Etablierung von Technik in den Haushalten kann man darüber hinaus eine Akzeptanz hervorrufen. Die Zusammenarbeit mit Ärzten und Pflegedienstleistern ist außerdem unabdingbar. 

von Saskia Schneider